Tourismuswirtschaft

Neue Fraunhofer Wertschöpfungs-Studie.

Der Foodservice als zentraler Eckpfeiler 

der 360°Gastwelt.











Was haben die Gemeinschaftsverpflegung mit 17 Millionen täglichen Mahlzeiten, der Catering-Bereich oder der leistungsstarke Foodservice mit der Tourismuswirtschaft in Deutschland zu tun? Auf den ersten Blick wenig, auf den zweiten (politischen) Blick sehr viel. Denn der Tourismusausschuss im Deutschen Bundestag ist federführend für diese wichtigen Branchen zuständig – das weiß nur kaum jemand und teils nicht mal die Ausschussmitglieder selbst. In der vergangenen 19. Wahlperiode hat sich das Gremium trotz der verheerenden Corona-Krise und monatelangen Lookdowns nicht ein Mal mit diesen Schwergewichten beschäftigt, sich dafür aber – etwas zugespitzt – um die alle Details der neuen Pauschalreiserichtlinie gekümmert. Warum eigentlich?


Foodservice = Tourismuswirtschaft?

Vier Faktoren spielen hier eine entscheidende Rolle. In der Tourismuspolitik wird (1) oftmals nur die erste Wertschöpfungsstufe (Tier One) gesehen und dann ist meistens Schluss: Der Fokus liegt also auf Hotels, Reisebüros und -Veranstalter und „klassiche“ Gastronomiebetriebe, also dem „Frontend“. Zu selten wird der Blick auf das mindestens genau so wichtige „Backend“ geworfen. Außerdem ist der begriffliche Sprung (2) im politischen Berlin von Tourismus zur Herstellung, der Distribution und dem Handel von Lebensmitteln und Services gefühlt sehr weit, was dazu führt, dass der Foodservice unter dem Sammelbegriff „Tourismuswirtschaft“ schlicht und einfach unterzugehen droht. Trotz breitgefächerter Verbandslandschaft werden die Themen und Leistungen des Foodservice (3) zu leise und defensiv ins Schaufenster gestellt. Was sich eigentlich für eine Wirtschaftspower hinter diesem Zweig verbirgt, wird nicht ausreichend dargestellt. Und (4) ist das Silo-Denken der einzelnen Branchen weiterhin sehr verbreitet, jeder schaut meistens „nur“ auf sich, Gemeinsamkeiten werden zu wenig beachtet.

Wie lässt sich das nun ändern? Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat sich die Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG) in einer umfangreichen Grundlagenstudie mit der Frage beschäftigt, wie die enorme Wirtschaftskraft und das verzweigte Wertschöpfungsnetzwerk der Tourismus-, Hospitality- und Foodservice-Industrie besser, greifbarer und gesellschaftspolitisch relevanter erfasst werden kann.

Abbildung: Akteure und Stakeholder der 360° Gastwelt. 

Gastlichkeit als verbindendes Service-Produkt

In einem ersten Schritt haben die Experten des IAO herausgearbeitet, auf welches Ziel (Produkt) alle „Player“ im verzweigten Wertschöpfungsnetzwerk hinarbeiten. Die Antwort darauf klingt zwar zunächst banal, ist aber in dieser Form vollkommen neu: Gastlichkeit als gemeinsames Serviceprodukt ist das verbindende Element der 360° Gastwelt. Gastwelt löst hierbei sinnvollerweise den Sammelbegriff „Tourismuswirtschaft“ und 360 Grad steht für eine ganzheitliche Betrachtung des Wertschöpfungsnetzwerkes über Stufe 1 (Fronend) hinaus. Die Studie präsentiert faktisch ein ganz neues, modernes Verständnis von „Gastlichkeit“ und zeigt damit den Weg für eine Weiterentwicklung der bislang stark fragmentierten Tourismus-, Hospitality- und Foodservice-Industrie zu einem vernetzten Business Ecosystem auf.



Abbildung: Fraunhofer IAO | Gastlichkeit als verbindendes Element. 

Jede 8 Minute eine neue Gastwelt-Erfahrung

Die Kernklientel, und damit Zielgruppe der Wertschöpfungsbetrachtung, umfasst Touristen, Geschäftsreisende, aber auch die einheimische Bevölkerung. Wenn im politischen Berlin im Tourismusausschuss und darüber hinaus bislang über Gastlichkeit gesprochen wird, stehen vor allem Reisende im Fokus. Gastlichkeit findet aber in vielfältiger Weise täglich im Leben von uns allen statt – ob auf dem Weg zur Arbeit beim Bäcker oder im Coffeeshop, bei Events und Messen, in der Kantine zum Mittagessen, in neuen Coworking-Spaces oder Freizeitsparks, bei der Schul- und Krankenhausverpflegung, im Reisebüro oder eben in Hotels oder der klassischen Gastro. 12-15 Prozent der gesamten Lebenszeit, so die Studie, verbringt jeder durchschnittlich in der Gastwelt und damit jede achte Minute. Gastlichkeit ist also keine Sache, die man zwei bis drei Mal im Jahr im Urlaub erfährt, sondern ein zentraler Eckpfeiler unseres täglichen Lebens und gesellschaftlichen Miteinanders. Ohne Gastlichkeit würde unserem Land ein extrem wichtiger sozialer Stabilitätsanker fehlen.

Abbildung: In jeder Lebenslage eines Menschen spielt Gastlichkeit eine wichtige Rolle.

Das Fraunhofer-Team konstatiert in seiner Untersuchung, dass Gastlichkeit gerade nach den jüngsten Lockdown-Erfahrungen eine Art „Renaissance“ erlebe. Vielen ist in den Monaten zuhause bewusst geworden, was uns als Gesellschaft fehlt, wenn wir keine Orte und Möglichkeiten zur sozialen Interaktion haben, ob im beruflichen oder privaten Umfeld. Wenn auch die Werte der Gastlichkeit überwiegend kommerziell sind, werden eben auch die nicht-kommerziellen, die sozialen Werte, immer wichtiger. Dazu zählt auch, dass man auch die Bedürfnisse der Gastgeberinnen und Gastgeber und lokalen Bevölkerung stärker berücksichtigt.

Das Business Ecosystem Gastwelt als Antwort

Das Forschungsteam kommt in seiner Untersuchung zu dem Schluss, dass das bisherige Konzept der Tourismuswirtschaft folglich keine ganzheitliche Perspektive auf Gastlichkeit einnehme. Die Studie präsentiert daher ein neues, leistungsfähiges Modell, mit dem Ziel, ein gemeinsames Business Ecosystem zu entwickeln, indem der Foodservice einen zentralen Eckpfeiler darstellt. Denn: Für ein positives Gastlichkeitserlebnis sind unglaublich viele Akteure beteiligt, mehr, als wir oberflächlich im Alltag wahrnehmen. Ohne einen funktionierenden und wettbewerbsfähigen Foodservice können z.B. Hotels, Caterer oder Restaurants überhaupt nicht richtig arbeiten.

Abbildung: Denkfabrik DZG | Vereinfachte Darstellung des Ökosystems 360° Gastwelt. 

Schon diese Beispiele zeigen, wie sinnvoll eine 360°Betrachtung – also ein Big Picture des gesamten Ökosystems – ist, um in Berlin künftig mehr Sichtbarkeit und politische Schlagkraft zu erhalten. Mit dem 360° Gastwelt-Konzept können wir genau das erreichen. Mehr Infos zur Studie erhalten Sie unter: www.360gastwelt.de.

Ein Beitrag von Dr. Marcel Klinge - Vorstandsvorsitzender und Sprecher der Denkfabrik Zukunft der Gastwelt (DZG)