Wo entwickelt sich die Branche hin?

Ein Statement

von 

Thomas Hille














Bild: Quelle Thomas Hille, TH Consulting

Diese Frage möchte ich losgelöst von der Corona-Pandemie beantworten. Vielmehr sehe ich grundlegende Entwicklungen, die durch die Pandemie nur zeitlich verzögert eingetreten sind bzw. jetzt stärker und auffälliger  Einzug halten.

Der in letzter Zeit vielfach von Branchenvertretern und Verbänden geäußerten Situation, dass im Zuge der jetzigen „Krise“ – sparen ist angesagt – Gäste auf das „zweite Glas Wein“ verzichten, möchte ich indirekt widersprechen. Die Ursachen liegen hier wo anders. Vielmehr möchte ich auf einen anderen Aspekt hinweisen: So wie in der Gesellschaft der Mittelstand rückläufig ist, so ist die typische „mittelständische“ Gastronomie immer seltener anzutreffen. Mit „mittelständischer Gastronomie“ meine ich die gute Eckkneipe und das Speisenrestaurant, das Familienrestaurant in einem Preissegment, das sich eine breite, die mittlere Bevölkerungsschicht leisten konnte und dabei eine gute, traditionelle Küche in adäquater Qualität und ausreichender Auswahl geboten bekam.

Abgesehen von betriebswirtschaftlichen Faktoren, organisatorischen Abläufen, steigenden Kosten und das Personalthema kommt der Wohlfühlfaktor hinzu. Zum Wohlfühlfaktor gehört zentral die Betrachtung des Raumdesigns, der atmosphärischen Gestaltung, des emotionalen Marketings. Letzteres macht diesen Betrieben meines Erachtens schwer zu schaffen und ist ein Key-Faktor für das „zweite Glas Wein“. Darüber könnte man nun noch weitere Ausführungen machen.


Politik und Gastronomie: Was sagt uns das?

Ich will mich aber auf einen anderen Aspekt für die Gastronomie konzentrieren, der auch in der politischen Landschaft anzutreffen ist, einen guten Vergleich darstellt und den ich wie folgt erklären möchte. 

Die Zeiten, in denen es klar abgegrenzte und durch den Beruf / die Branche vorgegebene Meinungsbilder gab, ist vorbei. Die Bauernschaft oder gewisse Berufsstände wählten Partei A, der Unternehmer wählte auch Partei A, der Arbeiter wählte Partei B. Und dann gab es noch eine Schicht, die wählte Partei C. Mehr gab es nicht. Und die Gesellschaft, beschrieben u.a. in den Sinus-Milieus, war in ihrer Aufgliederung überschaubar.

Heute gibt es nicht nur wesentlich mehr Parteien, auch die Inhalte (und die Politiker, die das jeweilige politische Programm vertreten) sind vielfältiger und nicht mehr klar abgegrenzt. Deshalb kann es sein, dass ich mich bei Thema X durch die Partei oder den politischen Vertreter A verstanden und vertreten fühle, bei Thema Y aber bei Partei B wiederfinde und so weiter. Ganz abgesehen von einer größeren Parteilandschaft und neuen Gesellschafts-Milieus. Ganz abgesehen von vielfältigeren und in einer immer kürzeren Zeit aufkommenden Herausforderungen und Veränderungen.


Was bedeutet das für die Gastronomie?

Allein innerhalb einer Familie zeichnen sich vielfältige Essgewohnheiten ab: Fleisch, vegan, vegetarisch, Vorliebe für eine nationale oder internationale Speisen, Regional, Bio, Nachhaltig, Kreislaufwirtschaft, soziales Engagement, ... .

In einer typischen Familie, 2 Erwachsene, 2 Kinder, können so also 4 grundverschiedene Speisenpräferenzen auftreten. In einer Gruppe, einem Freundeskreis, kommen so schnell noch mehr unterschiedliche Präferenzen auf. Das bedeutet nun für die Gastronomie: es sollten nach Möglichkeit mehrere Präferenzen angeboten werden. Dabei geht es über das Biofleisch regionaler Herkunft heraus. Damit sind zwar auch drei Präferenzen abgedeckt. Vielmehr geht es um die Vielfältigkeit, um Internationalität und um vegetarische und vegane Aspekte, hinzukommen der Verzicht auf Geschmacksverstärker oder andere Zusatzstoffe. Und hier ist mal nur der Food-Bereich betrachtet.


Es kommt also zu Zielkonflikten.

Das kann die klassische Gastronomie nicht leisten. Hier fehlt es an den notwendigen Strukturen im Hintergrund, an Prozessabläufen, an Systemsteuerung, an Möglichkeiten oder Kenntnissen innovativer Produktentwicklung, oftmals auch am Willen, der Bereitschaft und den finanziellen Möglichkeiten sowie den räumlichen Rahmenbedingungen.

Ich sehe klar die „systematisierte“ Gastronomie mit einem ausgereiften Controlling und einer agilen Personalführung auf dem Vormarsch. Wenn diese Gastronomien eine zeitgemäße und ansprechende Raumatmosphäre schaffen und das Preiseinstiegsniveau auf einem akzeptablem Level abbilden, dann wird es einen Wechsel von der vormaligen „Familiengastronomie“ – dort wo man mit der Familie hinging – geben und auf weitere Zielgruppen stoßen.

Das Preisniveau halte ich für einen wichtigen Punkt, denn nur weil ein Lokal bei Hipstern in ist – besonders in Szenestadtvierteln anzutreffen – ist dies noch lange kein Zeichen für Qualität, Handwerk, Authentizität und Wertschätzung. Diese Faktoren werden aber vermehrt nachgefragt. Das ist besonders im Bäckerhandwerk zu erkennen, wie die Beispiele Bäckerei Hinkel in Düsseldorf oder Bäckerei Öfferl in Gaubitsch im Weinviertel (A) zeigen. Brot als wichtigstes Grundnahrungsmittel hat wieder einen hohen Stellenwert erlangt. Und das schon deutlich vor der drohenden Weizenknappheit durch den Ukraine-Krieg.


Einkaufsqualität und Gastronomie – wo ist da der Zusammenhang?

Gastronomie beflügelt die Innenstädte. Gastronomie trägt zu einem Einkaufserlebnis bei. Städte mit einem guten Einzelhandelsmix in Fußgängerzonen, einer guten verkehrlichen Infrastruktur aus verkehrsberuhigten Zonen bis hin zu autofreien Zonen bei gleichzeitig guter Erreichbarkeit weisen oft auch ein attraktives Gastronomieangebot auf. In den Niederlanden gibt es dazu mit Maastricht ein hervorstechendes Beispiel.

Leider fehlt es in Deutschland noch an dem Bewusstsein, die Innenstädte wieder attraktiver und kundenfreundlicher zu machen. Ketten, Discounter, Billigmarken, ... das Bild vieler Städte gleicht sich wie eineiige Zwillinge. Und damit auch das Gastronomieangebot an eben solchen Ketten, meistens im Fast-Food Bereich angesiedelt.

Kein Wunder also, dass die Gastronomie immer mehr an freien Flächen oder Orten guter Erreichbarkeit anzutreffen ist, wie es L’Osteria zeigt. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass es hier bald zu einem Umdenken kommt.


Fazit

Die Gastronomie braucht mehr Kreativität, mehr Spielraum, mehr Attraktivität für junge Menschen. Dazu gehört auch, dass das Ausbildungssystem überdacht wird.

Die Gastronomie braucht die Erkenntnis, dass der Betrieb ein Unternehmen ist und als solcher geführt werden muss. Der „Gastronom“ muss nicht selbst an der Front sein.

Die Gastronomie braucht aber auch mehr Wertschätzung seitens der Gäste gegenüber dem Personal und den Produkten. Und sie braucht durchaus eine Hygieneampel (das Rauchverbot hat schließlich nicht das besagte Kneipensterben verursacht) und einen Mechanismus, der die „schwarzen“ Schafe erkennt. Nur so kann das Image der Gastronomie aufgebessert werden und eine neue Gastronomiekultur wachsen.

Die Gastronomie wird sich breiter aufstellen müssen, es werden mehr Angebote unterschiedlicher Richtungen und Kulturen Einzug halten. Die Grenzen sind teilweise schon nicht mehr erkennbar, besonders nicht für vielgereiste Menschen, die überwiegend in einem Alter von + - 25 bis 40 Jahre anzutreffen sind. Die Erwartungshaltung an solche Angebote zeigt sich besonders in Städten mit einem hohen Anteil an Menschen aus dem Ausland – hier u.a. Universitätsstädte – oder Städte mit einem hohen Anteil internationaler (Kultur-)Touristen.

Ihr 

Thomas Hille

Prozessberater, Strategieberater, Demografie Berater | TH Consulting

Ein Beitrag von Thomas Hille, TH Consulting