Sind alte Weizenarten

 besser als glutenfreies Getreide?

Ernährungstherapie 

bei getreideassoziierten Erkrankungen

Können Patienten mit getreideassoziierten Erkrankungen von der breiteren Verwendung alter Weizenarten profitieren und welche ernährungstherapeutischen Interventionen sind bei den verschiedenen Krankheitsbildern erfolgversprechend? Diese und weitere Fragen beleuchteten Prof. Dr. Katharina Scherf, Karlsruhe und Prof. Dr. med. Yurdagül Zopf, Erlangen im Rahmen einer digitalen Meet the Expert-Veranstaltung von Dr. Schär Ende Juni. Anhand von Studienergebnissen wurde deutlich, dass sich alte und neue Weizenarten hinsichtlich ihrer Verträglichkeit kaum unterscheiden. Eine sorgfältige Diagnosestellung und eine individuell angepasste Ernährung unter Meidung auslösender Faktoren wie Gluten, ATI und FODMAPs stellen daher die wichtigsten Ansatzpunkte bei der Therapie dar. 

Erkrankungen wie Zöliakie, Gluten-/Weizensensitivität (NCGS) und Weizenallergie, bei denen Weizen eine auslösende Rolle spielt, sind für Betroffene oft mit hohem Leidensdruck verbunden. Als verantwortlich für das Entstehen der Beschwerden gelten unter anderem die Weizenbestandteile Gluten und Alpha-AmylaseTrypsin-Inhibitoren (ATI). Bei der Suche nach Beschwerdelinderung für die Patienten wurde häufig die Vermutung geäußert, dass alte Weizenarten wie beispielsweise Dinkel, Emmer und Einkorn aufgrund ihrer Zusammensetzung besser verträglich seien als moderner Brotweizen. In einer von Prof. Scherf vorgestellten Studie wurden neben modernem Brotweizen auch die älteren Arten Dinkel, Hartweizen, Emmer und Einkorn mit jeweils 15 Sorten an verschiedenen Standorten in Süddeutschland angebaut.1 Die aus der Ernte gewonnenen Mehle wurden anschließend in Bezug auf ihre Inhaltsstoffe analysiert. Dabei zeigte sich, dass Dinkel, Hartweizen, Emmer und Einkorn im Mittel einen höheren Glutengehalt als der moderne Brotweizen aufwiesen.1 Der Gehalt an ATI war bei Dinkel und Emmer ebenfalls höher als beim Brotweizen, lediglich Einkorn wies im Vergleich zu den übrigen Arten einen deutlich geringeren ATI-Gehalt auf.1 „Keine der untersuchten Weizenarten ist für Zöliakie-Betroffene geeignet“, stellte Prof. Scherf klar. „Es gibt Unterschiede in der Verdaulichkeit des Glutens und in der Zusammensetzung der einzelnen Glutenproteine, aber hier ist noch nicht abschließend geklärt, inwieweit diese die Verträglichkeit beeinflussen“, so die Lebensmittelchemikerin.

Vergleichbare Verträglichkeit bei alten und modernen Weizensorten 

Eine zweite Studie ging der Frage nach, ob alte Sorten des Brotweizens vorteilhafter zusammengesetzt sind als die heute verwendeten Sorten. Dazu wurden in drei Jahren 60 Sorten des Brotweizens angebaut, die in verschiedenen Jahren seit 1891 gebräuchlich waren.2 Bei der anschließenden Untersuchung der Mehle zeigte sich, dass es zwar Unterschiede hinsichtlich Gluten-Gehalt und -Zusammensetzung zwischen den einzelnen Erntejahren und Sorten gab, diese aber nicht spezifisch alten oder modernen Brotweizensorten zuzuordnen 2 waren. „In den Analysen wurde kein Hinweis darauf gefunden, dass sich die Brotweizensorten in Bezug auf ihre Verträglichkeit im Laufe der Jahre verändert haben“, fasste Prof. Scherf die Ergebnisse zusammen. Alte Weizenarten und -sorten seien dennoch wichtig, da sie zu einer höheren Biodiversität beitragen und die Produktvielfalt für den Verbraucher erweitern können. „Für die Ernährungstherapie von getreideassoziierten Erkrankungen sollten jedoch glutenfreie Getreide wie Mais, Reis, Hirse und Buchweizen verwendet werden“, so Scherf.

Extraintestinale Beschwerden ernst nehmen 

Prof. Zopf wies in ihrem Vortrag darauf hin, bei der Behandlung von Patienten mit Getreideunverträglichkeiten zunächst die Ursache der Beschwerden zu ermitteln. Die Schwierigkeit sei dabei, dass diese Patienten nach Weizenkonsum häufig nicht nur intraintestinale Symptome wie Bauchschmerzen, Blähungen und Diarrhoe aufweisen, sondern auch extraintestinale Beschwerden wie Müdigkeit, Kopf-, Muskel- oder Gelenkschmerzen haben können. „Welche Beschwerden im Vordergrund stehen, kann von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. Dies kann die Anamnese häufig erschweren“, erklärte die Professorin für klinische und experimentelle Ernährungsmedizin. Auch bei der Zöliakie können die eher untypischen extraintestinalen Symptome überwiegen, so dass es immer wieder vorkomme, dass Patienten über längere Zeit nicht korrekt diagnostiziert und behandelt werden, da sie u.a. fälschlicherweise als Reizdarmpatienten eingestuft werden. „Eine Blutanalyse zum Ausschluss der Zöliakie sollte immer Teil der Untersuchung sein, auch wenn überwiegend extraintestinale Symptome berichtet werden“, betonte Zopf. Wichtig sei, die Zöliakie-Testung abzuschließen, bevor ernährungstherapeutische Interventionen wie beispielsweise ein Glutenverzicht vorgenommen werden. Ist die Diagnose Zöliakie durch eine Gewebebiopsie abgesichert, ist ein lebenslanger Glutenverzicht für die Patienten unerlässlich. 


Anders ist die Situation bei Gluten-/Weizensensitivität, bei der eine ähnliche Symptomatik wie bei Zöliakie vorliegen kann. Da es keine eindeutigen Marker gibt, müssen zunächst Zöliakie und eine Weizenallergie ausgeschlossen werden. Wenn sich bei einer anschließenden glutenfreien Ernährung, die über 6-8 Wochen durchgeführt werden sollte, eine spürbare Besserung einstellt, deute dies auf eine Gluten-/Weizensensitivität hin. „Der Glutenverzicht muss von diesen Patienten nicht für immer beibehalten werden“, erläuterte Zopf. Eine entzündete Darmschleimhaut kann sich infolge der Ernährungsumstellung oft wieder regenerieren, wodurch die Patienten wieder gewisse Mengen Gluten vertragen. „Daher sollten nach der Karenzphase wieder geringe Mengen glutenhaltiger Nahrung bis zum individuellen Schwellenwert eingeführt werden“, so die Empfehlung der Gastroenterologin. 

Effekte von Glutenverzicht auch beim Reizdarm 

Auch das relativ häufig auftretende Reizdarmsyndrom kann in Zusammenhang mit Getreideverzehr stehen. Inwieweit ein Glutenverzicht den Patienten zu einer Besserung verhilft, sei individuell sehr unterschiedlich. Nach bisheriger Studienlage profitiert etwa die Hälfte der Patienten von einer glutenfreien Ernährung.3 Deutlicher belegt ist der Effekt eines Verzichts auf FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide sowie Polyole), der daher auch von den Leitlinien als Firstline-Therapie empfohlen wird. 3 Zu den FODMAPS gehören auch Fruktane, die als Speicherkohlenhydrate in Weizen enthalten sind. „Da eine Eliminierung der FODMAPs aus der Ernährung jedoch sehr komplex und mit einem Verzicht auf eine Vielzahl von Nahrungsmitteln verbunden ist, lohnt es sich, diejenigen Patienten zu identifizieren, die bereits durch eine relativ einfach durchzuführende Glutenkarenz beschwerdefrei werden“ empfahl Zopf. Interessant sei in diesem Zusammenhang, dass glutenfreie Getreide und glutenfreie Produkte aus dem Handel Untersuchungen zufolge meist einen reduzierten FODMAP-Gehalt aufweisen. 4

Literatur 1 Geisslitz et al. 2019, doi: 10.3390/foods8090409 2 Pronin et al. 2020 3 Algera et al. Nutrients 2019;11:2162ff 4 Muir JG et al. Int J Food Microbiology 2019;290:237-246

Hintergrund Zöliakie 

In Deutschland ist die Zahl der Zöliakiebetroffenen hoch: Es sind zwar nur circa 100.000 Menschen diagnostiziert, ein wesentlich größerer Teil – knapp ein Prozent der Deutschen – ist jedoch Studien zufolge von einer Zöliakie betroffen, größtenteils ohne davon zu wissen. Das Klebereiweiß Gluten ist in zahlreichen Getreidesorten enthalten, unter anderem in Weizen, Roggen, Gerste und Dinkel. Bei Menschen mit Zöliakie lösen bereits geringste Mengen Gluten eine chronische Entzündung der Dünndarmschleimhaut aus, mit zum Teil schwerwiegenden Symptomen und Auswirkungen. Die einzig mögliche Therapie der Zöliakie besteht in einer lebenslangen streng glutenfreien Ernährung.


Gluten-/Weizensensitivität 

Der Verzehr glutenhaltiger Speisen führt bei einigen Menschen zu Symptomen wie Bauchschmerzen, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Hautausschlag oder geistiger Verwirrung („foggy mind“). Eine Zöliakie oder auch eine Allergie gegen Weizen liegt bei ihnen jedoch nicht vor. Beim Verzicht auf Gluten bessern sich bei diesen Patienten die Symptome innerhalb von wenigen Wochen und treten bei erneuter Glutenexposition wieder auf. Ob tatsächlich das Gluten oder ein anderer Inhaltsstoff des Weizens für die Reaktionen verantwortlich ist, wird in der Wissenschaft aktuell diskutiert. Im Fokus stehen neben Gluten beispielsweise die sogenannten Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) oder auch FODMAPs. 


Reizdarm 

Das Reizdarmsyndrom zählt zu den häufigsten chronischen Magen-Darm-Erkrankungen. Rund 15 Prozent der Deutschen können vom Reizdarmsyndrom betroffen sein¹, Frauen doppelt so häufig wie Männer. Studien konnten zeigen, dass sich die Symptome mit einer glutenfreien Ernährung/Low FODMAP Diät bei bis zu 70 Prozent der Reizdarmpatienten verbesserten.2 


1 Wittkamp P. et al.. Z Gastroenterol 2012. 50 – V36. 2 Altobelli E. et al. 2017. Low-FODMAP Diet Improves Irritable Bowel Syndrome Symptoms: A Meta-Analysis. Nutrients, 9 (9).

Ein Beitrag von den Erfa-Kollegen von Dr. Schär.