Das große Weinmaleins

Rezension












Bild: Buchcover | Das große Weinmaleins | Wie ich von besessenen Sommeliers alles über Wein lernte | Bianca Bosker | Piper

Das Buch von Bianca Bosker hat meine unerschütterliche und bei Weinverkostungen immer wieder propagierte Meinung durcheinander gebracht,...


...nämlich: Das höchste Qualitätskriterium für Wein, den ich trinke, ist: Der schmeckt mir oder nicht, egal was andere Mitschmecker von sich geben. Bereits die ersten zehn von 422 Seiten versprachen schon Kurzweil, und ich betrachtete den Pfälzer Landwein, der neben dem Laptop stand, schon etwas kritischer. Schmeckte da nicht etwas Peronospera heraus oder Isoprophyl oder beides? Oder ist das gar kein Landwein, sondern ausgespültes Fass verschiedener europäischer Großweinlagen? Auch der Syrah im BiB hatte plötzlich etwas Pelziges auf den Rachenmandeln.


Ich löschte die Bedenken zunächst mit Weizenbier, naturtrüb versteht sich, passte auch besser zum Wetter. Das was ich zunächst für Noch`n Weinführer hielt, erlas sich bereits nach wenigem Weiterblättern als ein köstliches Werk brillant geschriebener Weinkultur. Und auf Seite 19 belehrte mich Bianca, nach amüsierenden Vorworten, indem sie kundtat: Dieses Buch ist kein Weinführer oder ein gutgläubiges Hochhalten sämtlicher Traditionen des Weintrinkens. Dieses Buch ist weniger der Weg von Weintraube zu Weinglas sondern ein Abenteuer von Weinglas zu Gurgel in die wilde Welt der Weinbesessenheit und Weinwertschätzung in all ihren Farben und Fehlern. Es erforscht unsere Beziehung zu einem siebentausend Jahre alten Saft, der ägyptische Herrscher, mittellose Bauern, russische Zaren, Börsenmogule, Vorstadteltern und chinesische Studenten bezaubert hat. 


Man merkt Bianca Bosker ihre Beharrlichkeit beim Erreichen eines Ziels an, ist ihre berufliche Grundlage doch der IT-Journalismus und da gilt: Geht nicht, gibt's nicht! Auf ihrem, teilweise abstrusen, Weg zur Meisterin der Verkostungen nimmt sie alle Niederungen und Erniedrigungen der Weinuniversen auf sich, nimmt die Leserin oder den Lesern oder den/die Lesediversen mit in die Edelrestaurants und Bars von New York und lässt alle erschauern, welche pekunuären Klimmzüge auf der Jagd nach der endgültigen Sorte in der endgültigen Flasche gemacht werden. Diese Flasche ist aber weiter entfernt, je näher man glaubt, ihr zu sein. Bianca zitiert unglaubliche Beschreibungen aus dem Verkostungsvokabular der Meistersomms wie z.B. Dieser süße Pfirsich-Riesling schmeckt wie die Beatles um die Love-Me-Do-Zeit; der andere da wie Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band – flippig, trippig, und die Säure schießt bis in den Himmel. Olfatype, knallt er mir in die Hirnwindungen. Ja, das habe ich doch schon mal gehört, geübt und verstanden. Individuelle Geruchsempfindungen von Aromen visualisiert. Geometrische Grundformen mit Emotionen verknüpft und in ein menschenübergreifendes Olfabeth gezaubert. Ingeborg Scheer beeinflusst wieder mein Dasign. Aber Langspielplatten der Beatles kann man nicht trinken, aber daran riechen, wer möchte. Und die Säure schießt nicht in den Himmel, denn jede Weinsäure ist mit einer geschmacklich-duftenden Erinnerung verknüpft, sofern diese bereits im Gehirn gespeichert ist. Jeder Geruch oder Duft gleitet auf kürzestem Weg in das olfaktorische Gedächtnis. 


Das Große WeinMaleins ist ein Buch, das alle die fesselt, die gerne Wein genießen, sich aber nicht trauen, ihre Empfindungen zu äußern. Auf welche Weise auch immer. Allein der Titel ist schmunzelndes Programm. Aber auch die erstaunt, die glauben schon alles über Wein zu wissen und fast alle Toplagen und Nischenweine auswendig daher sagen können. Zu den letztgenannten Connaisseuren gehöre ich nicht, auch wenn ich selber etwas Weinbau pflege. Der hier reifende Regent schmeckt mir ausgezeichnet. Nach Lektüre diese Buches lasse ich mir aber wahrscheinlich mehr Zeit, die Geschmacksknospen und Hirnareale zu trainieren, die ja so unglaubliche Nuancen offenbaren können. Aber was mache ich mit dem Pfälzer Landwein oder dem Syrah aus dem BiB? Blumen düngen, auch auf die Gefahr hin, dass sie eingehen. Nein, Bianca Bosker ermutigt mich, meinen Empfindungen zu trauen. Zum Wein genießen gehört entspannte Laune. Auch nicht so teure Tropfen können Offenbarung auf die Zunge bringen. Ihr Schlusswort macht mir Mut. Jeder Mensch besitzt die Fähigkeit, die Seele des Weins zu entdecken und zu genießen. Sie brauchen keinen Treuhandfonds und keinen Zugang zu Gratisweinen. Sie brauchen keine Supersinne. Sie müssen nicht einmal das Kaffeetrinken aufgeben oder unvernünftig große Mengen Alkohol dienstagmorgens um zehn trinken. Geben Sie einfach nur Acht, das ist der erste Schritt, um etwas für den Wein zu empfinden und Ihre Sinne zu erwecken. Und widmen Sie sich dem Ganzen mit Gusto.


Fazit

Das Buch gehört in jede Straußwirtschaft. Es ist ein ideales Geschenk für Weinliebhaberinnen Weinliebhaber, Winzer, Winzerinnen, Auszubildende, Kandidierende für Parteiämter und Genussmittelversendende. Es ist nie langweilig und hat mich zwei Nächte lesen lassen. Jetzt kann ich darüber berichten aber ärgere mich ein wenig, dass ich nicht so schön erzählen kann wie Bianca Bosker. Am Schluss aber noch ein geräumiges Lob an die Übersetzerin Viola Krauß. Eine Meisterinnenleistung. Fünf Sterne und einhundert Parkende Punkte! 

Prosim - Ich möge nützen!


Euer

Frank Krajewski

Das große Weinmaleins

Wie ich von besessenen Sommeliers alles über Wein lernte

Bianca Bosker | Piper