Ein Herd und eine Seele

Rezension

Bild: Buchcover | Ein Herd und eine Seele | Tobias Sudhoff | Tecklenborg Verlag

Ein Herd und eine Seele



Kutt erop! Kutt erop! Kutt erop!

Bei Palms do es de Pief verstopp.

Et hät die ärm Frau Palm,

die janze Stuff voll Qualm.


Wer diese Zeilen nicht versteht, sollte Tobias Sudhoff fragen, der kann Niederländisch. LOL. Was musste ich mir alles anhören, als hier im Hause klar wurde, dass ich unsere Küchenhexe verschenkt hatte. Dieser Küchenherd fristete seit Jahren ein kohleloses Dasein in meinem Bastelkeller und ich habe ihn deshalb, ohne Kohle dafür zu nehmen, verschenkt. Mein Argument, dass der Schorni das Anschließen nicht mehr erlauben würde, zog genauso wenig, wie dieser Küchenherd bei Problemwetter. Er qualmte dann Feinstaub, und dieser passte nicht zur grünen Tapete, sonder lagerte sich auf dieser ab. Deswegen wurde er ja auch vor Urzeiten, als Umwelthilfe, in den besagten Keller transportiert und diente dort immerhin als prima Ablagefläche für soviel Kürmel, dass er kaum noch als Küchenpreziose zu erkennen war. Erst als bei Frau Palm in der Nachbarschaft ein Kaminbrand zur Kenntnis kam, war das Thema der Neunutzung vom Ofen, äh Tisch.

Na gut, zugegeben, so ein alter Herd hat eine Seele und nach meiner Erinnerung summte immer ein Wasserkessel auf Omas Emaillechromestück und in den großen Gusseisentopf kam praktisch alles, was nicht sofort gegessen wurde. Pot au feu wie die Franzosen denken. Heute unmöglich, denn der Energieverbauch lässt das nicht mehr zu. Früher war so eine Küchenhexe auch die einzige Wärmequelle, in der das Feuer nicht ausgehen durfte, und in der dunklen Kittelschürze sah Oma in meiner Vorstellung auch einer Küchenhexe ähnlich. Verzeihung Omi! Deine Kochkunst ist noch heute das Geheimnis meiner Leibesfülle.


Aber jetzt mal zum Buch

Es passt auf keinen Scanner, aber das Wichtige ist mit dem DIN-A-4 Format abzudecken, nämlich Titel Titelbild und Tecklenborg Verlag, sowie der schriftliche Hinweis, wie Lesende es lesen sollen, nämlich als “ kulinarischer Schmöker für fortgeschrittene Lebensliebhaber/innen“. Wurde im Erscheinungsjahr 2016 schon gegendert? Offensichtlich ja, aber nicht durchgehend. Ähnlich gewichtig, wie das Werk selber sind die „zehn irren Typen von den italienischen Alpen bis nach Dänemark, Protagonisten aus Europas kulinarischer Szene“ die Sudhoff mit seinen Rezeptanfragen genervt hat, von Harald Rüssel (super Name für einen Koch) bis Falko Jüßen und seinen Lachs und Kalbsbäckchenkreationen. Kurz vor Falko (226ff) glänzt Jean-Marie Dumaine (208ff) mit seinen Wildkräuterzutaten zu den Gaumenschmeichlern. Und auch das „s“ zuviel, nämlich Dumaines ist vielleicht nur ein ärgerlicher Druckfehler, den Jean-Marie gelassen hinnimmt. Bedeutet doch sein Name, dass die Vorfahren aus der früheren Provinz Maine kommen, und der gleichnamige Fluss, der die Region Pays de la Loire durchplätschert, ist auch beteiligt und Maine hat es vielleicht auch in die USA geschafft. Meint Augusta jedenfalls. 

Nun ist das Buch nicht unbedingt, aber auch, ein Besuchsbuch bei Köchen und eine Darstellung von deren Rezepten in schmucken Bildern von Hermann Willers. Nein, Sudhoff plädiert für das dringend Notwendige, das die Not also wendet, nämlich die Wende in der Konsumierung von Nahrungsmittel (er schreibt Lebensmittel). Und diejenigen, die sich dieser Kehrtwende verschrieben haben, nimmt er als Leuchtfeuer, als Lotsen im Wirbel der industriellen Fleischströme zu Hilfe, um das rettende Ufer des nachhaltigen Genussses zu erreichen. Dass die Foodjunkiegastronomie nicht mehr aus diesen Strudeln herauszuholen ist, wird klar, wenn man die Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre betrachtet. Man will eigentlich nicht hinsehen, aber im Text „Op dem Maat“, den „die Räuber“ immer im kölschen Karneval schmettern, ist mehr Wahrheit als ein Körnchen nämlich: „un för die Woosch im Plastikdarm jewürz met vill Phosphat, do stonn sujar de Jröne an dr Frittebud parat.“ Langsam lesen, hilft zu verstehen. Sudhoff fragt auf Seite 14: „Wer hat am Ende die größte Macht? Natürlich wir, die Konsumenten.“ Wobei er wohl voraussetzt, dass er mit diesem Buch sehr viele gleichgesinnte Lesende erreicht. Quod est dubium, denn diese Genießenden sind ohnehin von der Kehrtwende überzeugt und lassen vom Doppelwumms an der Dönerbude Gaumen und Zunge. Das gilt aber nicht für mich, wenn ich gelegentlich beim Lieblingsgriechen den Belag des Dönertellers mit etwas Rinderleber über die Geschmacksknospen gleiten lasse.

Tobias Sudhoff bezeichnet sein Werk als „politisches Kochbuch“ und stellt in Aussicht, dass, wenn wir Politiker wählen, die die kulinarische Zeitenwende politisch durchsetzen, dieses auch tun. Herr Sudhoff, das wäre zu wünschen ist aber, bei allem Respekt, sehr optimistisch formuliert, denn die jüngste Vergangenheit hat gezeigt, dass die, mit großen Vorsätzen angetretenen und Zuständigkeit versprechenden Minister*innen, lediglich Nutzloses produziert haben. Z.B das „Tierwohllabel“. Auch jüngst auf der Grünen Woche in Berlin, wurden Ankündigungen özdemirt, die das Hochglanzapier nicht wert sind, auf dem sie millionenfach verbreitet werden. Nach einer gewissen Zeit wandern, nach Wahlmisserfolgen, die Zeitbeamten in Festanstellungen schon mal zu Unternehmen ab, denen sie vorher, so böse Zungen, als sog. „Konzernnutten“ gedient hätten. Also nur ganz böse Zungen lispeln das. Wirkliche Lebensliebhaber müssen sich selbst helfen. Wie? Das stellt Sudhoff klar heraus, wenn man genau „hinliest“. Er ruft zum Boykott auf, zum „marktwirtschaftlichen Ungehorsam.“ Heißt: nichts kaufen, was schlecht ist, Vernunft steht vor Billig. Sudhoff weiß, dass er der Rufer in der kulinarischen Wüste ist, auf den immerhin die hören könnten, die dieses Buch als künftige Einkaufshilfe in der Küche parat haben.

Mit seinem erhobenen Zeigefinger als Lesezeichen. Und für die gilt das „Wir“ in besonderem Maße. Diejenigen, die „Lotte de Mer“ (196ff.) für eine Dame halten, die Zusätzliches bietet, wird er nicht erreichen. 


Zu den Rezepten

Ich habe mir ein Küchenkrepp an die Tastataur gelegt, um das Seibern darauf zu vermeiden. Am liebsten würde ich sofort das heutige Hauptgericht auf den Teller bringen, weiß aber nicht, ob das Rezept, bei dem ich hängen blieb hier im Haus ankommt. Ich meine das, wo man viel Süßholz raspeln muss, dank Johan Bülow. Vollkommen irre, hochkreativ. Als gleichwertige Hauptspeisen im Menü, nämlich: Lakritzwürstchen mit lakritzkandierten Drillingen. (127ff) Die Drilling-Kartöffelchen gibt es hier bei den türkischen Freunden in der Gemüsehalle. Die Würstchen macht Tobias Sudhoff selber, ich nicht, und ich würde auch keine Rockmusiker zum Essen einladen, die laut ihm, die zehnfachene Menge vertilgen wie Jazzer. Und der nicht so deftige Genusshammer: Jakobsmuscheln mit Lakritztomaten (122ff) Ich glaubs fast nicht. Ich, als weltweit gefürchteter Lakritzfan, weiß auch, dass ich als Tomaten nicht die zu roten Kugeln gewordenes Wasser aus dem sympatischen Nachbarland nehme, sondern eher die vom „Kaiser der Paradeiser“ (Film von Monika Kirschner) Erich Stekovisc, die ich in meinem Garten pflege. Ich finde es als kreativen Nebeneffekt, dass Sudhoff im Wesentlichen auf Mengenangaben verzichtet, eben deshalb, da er sein Buch nicht unbedingt für Anfänger am Herd gedacht hat, sondern für alle, welche sich trauen, selbst Mengenlehre zu versuchen. Also kulinarisches Selbstvertrauen pflegen wollen. Und Tobias Sudhoff hat selbst noch mehrere Asse in den Ärmeln seiner Kochhjacke. Er macht aus dem, was im Regelfall weggeworfen oder zu Tierfutter verarbeitet wird, ein kulinarisches Glanzstück, seine Happy Foie. Er fettet Geflügelleber mit hochwertigen Zutaten auf und umgeht somit elegant, das immer mehr verpönte Stopfen von Geflügel. Das Geschmackserlebnis verwirrt auch die Zungen von Connaisseuren der gastronomischen Eliten. Zahlreiche Blind-Tests haben gezeigt, dass die Happy Foie aus seiner Manufaktur, das Genussniveau des Klassikers „Foie gras“ erreicht und sogar übertrifft. Chapeau!


Fazit

Alle Köche zu nennen, die Sudhoff in die Küche integriert haben, erspare ich mir, einige habe ich ja genannt. Alle haben auch wegen pandemischer Vorgaben coronal leiden müssen, aber hoffentlich kreativ durchgehalten. Das reich bebilderte Werk, das mir, seit dem Erscheinungsjahr, das Regalbrett durchgebogen hat, ist nicht in einem Rutsch zu lesen, etwa wie ein Krimi, aber mindestens genauso spannend. Fundiertes Kochwissen aus Europas Gefilden wird überzeugend dargestellt. Auch wenn das Piemont Sudhoffs Lieblingsheimat ist, kommen andere Landstriche in seinem Herdverständnis nicht zu kurz. Es ist kein übliches Kochbuch mit kleinlichen Grammangaben und unverständlichen Küchenbegriffen, sondern State of the Art. Mit Augenzwinkern auch was für kreative „Küchenbullen“ die beim Abschmecken sagen: „Es kann von Allem noch etwas dazu.“ Ich bin mir gewiss: Sudhoffs Herd hat meine Seele erreicht.


Euer

Frank Krajewski

Ein Herd und eine Seele

Tobias Sudhoff | Tecklenborg Verlag