(Biozyklisch-)Vegan

Eine Chance 

für die Ökobranche

Bild: Quelle Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e.V.

Der Markt für vegane Produkte boomt.


Besonders junge Menschen entscheiden sich aus Gründen der Nachhaltigkeit und Tierethik immer mehr für einen verantwortungsbewussten, pflanzenbasierten Lebensstil. Eine absolut positive Entwicklung! Doch lohnt es sich, genauer hinzusehen, um zu erkennen, dass vegane Produkte nicht gleichermaßen nachhaltig sind. Der Fokus liegt meist auf dem Verzicht auf tierische Bestandteile, während weiterführende ökologische Aspekte in den Hintergrund rücken.


Es ist zweifellos richtig, dass eine stärker pflanzenbasierte Ernährung einen Beitrag zur Reduzierung der Nutztierhaltung leisten kann, was wiederum positive Auswirkungen auf die Umwelt, das Klima und die Natur hat. So steht durch den geringeren Flächenbedarf für Futtermittel mehr Ackerland für den Anbau von Nahrungsmitteln zur Verfügung, und es können sogar bisher landwirtschaftlich genutzte Flächen renaturiert werden, um der Klima- und der Biodiversitätskrise entgegenzuwirken. Wissenschaftler und Organisationen, die sich für eine Transformation des Ernährungssystems einsetzen, betonen dies zu Recht.


Jedoch geraten dabei wichtige Fragestellungen in den Hintergrund, die den konventionellen Anbau betreffen, aus dem die Rohstoffe stammen, die für die Fertigung der meisten veganen Produkte verwendet werden. Der Einsatz von Kunstdüngern und Pestiziden sowie der Anbau in Monokulturen haben einen schädigenden Einfluss auf das Bodenleben, die Artenvielfalt und die Gesundheit unserer Lebensräume. Diese Problematik wird bei der Kommunikation zu den Vorteilen einer veganen Ernährung oft ausgeblendet. Wenn es aber um ökologische Nachhaltigkeit im umfassenden Sinne gehen soll, dann ist es erforderlich, über den reinen Verzicht auf tierische Produkte hinauszudenken.


Der ökologische Landbau setzt seit Jahrzehnten erfolgreich Maßstäbe für eine klima- und umweltfreundlichere sowie ressourcenschonende Wirtschaftsweise, die sorgsam mit den Böden umgeht und die Biodiversität fördert. Es wäre also folgerichtig, wenn vegane Produkte grundsätzlich zunehmend in Bio-Qualität angeboten würden, um den genannten Nachhaltigkeitsansprüchen gerecht zu werden. 


Zwar verzeichnet auch im Bio-Bereich das vegane Sortiment ein signifikantes Wachstum, doch scheint das Thema „vegan“ für die Ökobranche im Ganzen noch wenig Priorität zu haben. Dies wurde auch unlängst im Rahmen der VI. Öko-Marketingtage, die Anfang November 2023 in der Akademie für ökologische Land- und Ernährungswirtschaft Schloss Kirchberg stattfanden, deutlich, wo die provokative Frage „Vegan − verschläft die Ökobranche einen Trend?“ gestellt wurde. Sie wurde eindeutig bejaht – obschon für die Dringlichkeit und Relevanz des Themas durchaus ein Bewusstsein besteht.

Was ist hier das Problem?


Im klassischen Ökolandbau spielt, anders als in der konventionellen Landwirtschaft, die leicht zu „veganisieren“ wäre (synthetische Dünger und Pestizide werden ganz ohne tierische Ausgangsstoffe und Hilfsmittel erzeugt), die Nutztierhaltung eine zentrale Rolle. Dünger aus tierischen Exkrementen und Schlachtabfällen werden für eine betriebliche Kreislaufwirtschaft als unerlässlich erachtet, und es herrscht die Auffassung, dass der Aufbau einer dauerhaften Bodenfruchtbarkeit ohne tierischen Dung unmöglich sei.


Hinzu kommt, dass die Ökobranche vor dem Hintergrund einer wachsenden Sensibilität der Bevölkerung gegenüber den Methoden der konventionellen, industriellen Nutztierhaltung die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern zunehmend für sich als „Geschäftsmodell“ entdeckt. Bemühungen um „Tierwohl“ und „artgerechte(re)“ oder auch „wesensgemäße“ Tierhaltung mit Freilauf oder Weidehaltung, Züchtung alter Rassen, Aufzucht von „Bruderhähnen“ bei der Eierproduktion, muttergebundene Kälberaufzucht usw. – Maßnahmen, die ja in der Tat einen großen Fortschritt und Gewinn gegenüber den konventionellen Praktiken darstellen und zu begrüßen sind − vermitteln den Konsumenten das Gefühl, beim Kauf von Bio-Produkten aus Sicht der Ethik und ökologischen Nachhaltigkeit die beste Wahl zu treffen. Ganz im Sinne der „Planetary Health Diet“ pendelt sich hier ein Konsens ein, dass ein reduzierter Konsum tierischer Produkte, die dann aber möglichst aus einer nachhaltigen und tierwohlgerechten Erzeugung stammen, die erwünschte Lösung ist, nach dem Motto: „Weniger Fleisch, aber dafür gutes Bio-Fleisch!“ 


Wenn dann vegane Kreise einen Schritt weiter gehen und den Konsum tierischer Produkte grundsätzlich in Frage stellen, so muß dies auf Vertreter der Ökobranche, die sich seit Jahrzehnten mit vollem Engagement für eine tierwohl- und umweltgerechte Produktion einsetzen, verstörend wirken, wenn sie es nicht sogar als Affront erleben.


Die Gruppe der jungen Trendsetter der Generation Z hingegen, die sich zunehmend von ethischen Motiven leiten lässt, fühlt sich durch das Tierwohl-Narrativ kaum noch angesprochen. Hier findet gerade ein Paradigmenwechsel im Mensch-Tier-Verhältnis statt, in dem Sinne, dass das Nutzen und Töten von Tieren für den menschlichen Konsum grundsätzlich als ethisch nicht mehr zu rechtfertigen und angesichts vorhandener pflanzlicher Alternativen auch nicht mehr als notwendig angesehen wird. Immer bewusster wird hier auch die Frage gestellt: „Ist die landwirtschaftliche Erzeugung der Lebensmittel, die ich konsumiere – auch wenn sie von ihren Inhaltsstoffen her als „bio“ und „vegan“ deklariert sind – nicht doch mit Tierleid verbunden?“



Doch wie lässt sich dieser latente Konflikt zwischen ökologisch und vegan überwinden?


Inmitten dieser Herausforderungen hat sich aus der Mitte der Ökobewegung heraus eine wegweisende Lösung entwickelt: der biozyklisch-vegane Anbau. Es ist dies eine Form des Ökolandbaus, die „vegan“, also ohne Nutztierhaltung und den Einsatz von Dünge- und weiteren Betriebsmitteln tierischen Ursprungs, wirtschaftet.


Zurückzuführen ist dieses Anbauprinzip auf eine Reihe von Vordenkern in verschiedenen europäischen Ländern, insbesondere aber auch auf Adolf Hoops, Visionär und Pionier des ökologischen Landbaus in Deutschland und Mitbegründer des Anbauverbands Bioland, für den sich diese Frage bereits in den 1950er Jahren stellte. Er sah es als absolute Notwendigkeit an, dass die gesamte Landwirtschaft zum Schutz der natürlichen Ressourcen und Lebensgrundlagen ökologisch werden muss. Gleichzeitig aber war ihm schon damals bewusst, dass sich in Zukunft die Menschen immer mehr der Pflanzenkost zuwenden werden. Vor dem Hintergrund, dass der Ökolandbau traditionell die Nutztierhaltung als unabdingbar für die Aufrechterhaltung einer dauerhaften Bodenfruchtbarkeit postuliert, ergab sich für ihn das Dilemma, dass bei einer zunehmend pflanzenbasierten Ernährung Nutztiere nur noch als „Düngerproduzenten“ gehalten werden müssten, was letztlich zu „riesigen Fleischbergen und Milchseen“ führen würde, die nicht mehr konsumiert werden würden.


Mit dieser Fragestellung begann Adolf Hoops auf seinem Betrieb Biomodell Walsrode in der Lüneburger Heide neue Düngemethoden auszuprobieren, um auf rein pflanzlicher Grundlage eine dauerhafte Bodenfruchtbarkeit aufzubauen. Diese sehr erfolgreichen Bestrebungen wurden über die Jahrzehnte – teilweise auch in Griechenland für den mediterranen Raum – weiterentwickelt und immer mehr verfeinert, bis sie ab der Jahrtausendwende in die „Biozyklischen Richtlinien“ und ab 2016 in die „Biozyklisch-Veganen Richtlinien“ einmündeten. 2017 wurden letztere von IFOAM Organics International als eigenständiger globaler Ökostandard anerkannt und in die IFOAM Family of Standards aufgenommen.


So existiert heute mit dem biozyklisch-veganen Anbau ein Ansatz, der die vegane Idee aus der ökologischen Landwirtschaft heraus denkt und der es ermöglicht, Produkte, die sowohl nach ökologischen als auch nach veganen Prinzipien erzeugt wurden, anhand eines professionellen Zertifizierungssystems entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit entsprechendem Label auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher als „vegan ab Feld“ transparent sichtbar zu machen. Das Biozyklisch-Vegane Gütesiegel gewährleistet, dass die damit gekennzeichneten Produkte nicht nur frei von tierischen Zutaten, sondern auch vom Anbau her ökologisch und „konsequent vegan“ sind.


Eine wachsende Anzahl von biozyklisch-veganen Betrieben weltweit beweist, dass Ökolandbau rein pflanzlich „ohne den Umweg über das Nutztier“ möglich ist. Besonders für bereits jetzt schon viehlos wirtschaftende Ökobetriebe, aber auch für Landwirtinnen und Landwirte, die sich mit dem Gedanken tragen, aus wirtschaftlichen oder ethischen Gründen aus der Nutztierhaltung auszusteigen, ergibt sich hier eine echte Alternative. Mit ihren Erfahrungen und best practices werden sie Leuchttürme darstellen für eine nachhaltige Transformation des Agrar- und Ernährungssystems hin zu einer ökologischen und gleichzeitig stärker pflanzenbetonten Wirtschaftsweise.


Noch betrachtet ein Teil der Ökobranche den Vegan-Trend mit Skepsis. Dabei hat sie durch den biozyklisch-veganen Anbau die Chance, nicht nur diesen Trend aufzugreifen, sondern für die gesamte Branche neue Standards zu setzen und in Ergänzung zu ihrem traditionellen Ansatz ein neues Angebot aus konsequent ökologischer und veganer Erzeugung aufzubauen – und sich damit neue Wachstumspotentiale zu erschließen.


Aber auch konventionell arbeitende Erzeuger- und Verarbeitungsbetriebe sollten sich die Frage stellen, ob ihre veganen Produkte in Zukunft noch den Forderungen nach mehr ökologischer Nachhaltigkeit und einem achtsamen Umgang mit den globalen Ressourcen gerecht werden, solange ihre Produktion weiterhin mit den zerstörerischen und lebensfeindlichen Praktiken verbunden ist, wie sie im allgemeinen Lebensmittelsektor heute noch vorherrschen. Auch ihnen bietet der biozyklisch-vegane Anbau neue Perspektiven. 


Darüber hinaus wird der biozyklisch-vegane Anbau in Zukunft für den Ökolandbau im Ganzen eine immer größere Rolle spielen. Beim notwendigen und auch politisch vorgesehenen Abbau der Tierbestände und der damit verbundenen zunehmenden Extensivierung der landwirtschaftlichen Tierhaltung wird für die Betriebe immer weniger Wirtschaftsdünger zur Verfügung stehen. Wo soll dann der Dünger herkommen? Zukaufdünger mit Stoffen aus der konventionellen Landwirtschaft, auch aus Drittländern (wie es heute bereits praktiziert wird), ist keine Lösung. Der ökologische Landbau wird sich unumgänglich mit der Frage befassen müssen, wie man mit pflanzlicher Düngung zurechtkommt und wie sich die Betriebskreisläufe rein pflanzlich schließen lassen. 


Die Frage, die Adolf Hoops sich vor 70 Jahren gestellt hat, ist also aktueller denn je! Und hierzu hat der biozyklisch-vegane Anbau praxiserprobte Antworten entwickelt.


Hier liegt auch die Chance für die gesamte Ökobranche: das Thema „Bio“ konsequent einen Schritt weiter zu denken durch die Integration veganer Aspekte in die Prinzipien der ökologischen Wirtschaftsweise und sich damit schon jetzt zu rüsten für die wachsenden und immer komplexer werdenden Herausforderungen der Zukunft. Das heißt auch, für biozyklisch-vegan erzeugte und mit dem Gütesiegel gekennzeichnete Produkte einen Markt aufzubauen, sie in die jeweiligen Sortimente aufzunehmen und ihnen durch entsprechende Kommunikations- und Werbemaßnahmen eine größere Sichtbarkeit zu verschaffen.

Axel Anders

Co-Founder und Vorstandsmitglied, Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e. V.


Als Mitbegründer und -gesellschafter der Adolf-Hoops-Gesellschaft mbH setzt er sich in erster Linie für den Aufbau des internationalen Biozyklisch-Veganen Netzwerks ein und unterstützt den Förderkreis in strategischen und konzeptionellen Fragen. 


Kontakt: a.anders@biozyklisch-vegan.org

Ein Beitrag vom Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e.V.
Bilder: Quelle, Förderkreis Biozyklisch-Veganer Anbau e.V.